Der Schwarze Holunder: Mach's mit Zyankali

Viele Nagetiere, Wild, Kühe, Pferde, Schnecken und Insekten sind sich in einem Punkt völlig einig: Maul weg vom Schwarzen Holunder!

Sambucus nigra dürfte wohl mit einer der unbeliebtesten Pflanzen in unseren Wäldern sein, man findet nur selten abgefressene Blätter oder Zweige. Sogar der Mehltau macht eine großen Bogen um diese Pflanze obwohl er sich mit Begeisterung auf einen nahen Verwandten, den Traubenholunder oder Roten Holunder (Sambucus racemosa) stürzt.

Diese Aversion hat sehr berechtigte Gründe!
Viele Arten setzen organische Verbindungen zum Schutz vor Fraßfeinden ein, der Schwarze Holunder betreibt in dieser Hinsicht geradezu den biochemischen Overkill. Ein Cocktail aus drei verschiedenen Substanzklassen (Lektine, Lignane und Blausäuregylcoside) verdirbt selbst dem hartnäckigsten Feinschmecker gründlich den Appetit.
Allerdings kann die Toxizität einer Pflanze selbst innerhalb der gleichen systematischen Tiergruppe stark schwanken, einige Arten z.B. Ziegen werden sich also ungestraft am Schwarzen Hollunder vergreifen können.

1. Lektine:
Lektine sind relativ hochmolekulare Proteine. Am bekanntesten dürfte das hochtoxische Ricin aus der Rhizinuspflanze (Ricinus communis) und das Phasin aus rohen Bohnen (wird beim Kochen zerstört!) sein. Der Verzehr führt zu starkem Erbrechen und Durchfall. Außerdem haben die Lektine antifungale (daher vermutlich die Mehltauresistenz!), antibakterielle und insektizide Wirkung.

2. Lignane:
Sie gehören zur Gruppe der Phenole und zeichnen sich vor allem durch ihre antibakterielle Wirkung aus.

3. Blausäureglycoside:
Das Sambunigrin wird in den Zellvakuolen der Epidermis gespeichert, in dieser Form ist es noch harmlos. (So harmlos, wie eine nicht entsicherte Handgranate! 😈). Die blausäureabspaltenden Enzyme finden sich dagegen im Cytoplasma und den grünen Chloroplasten. Beim Zerbeißen der Blätter werden beide Komponenten freigesetzt und vermischt. Count Down läuft!
Zum Einen schmeckt Blausäure bitter (der typische Bittermandelgeschmack von Zyankali, einem Salz der Blausäure) zum anderen ist sie alles andere als gesund, sie blockiert die ATP-Bildung in der Atmungskette.

Dennoch gibt es Lebewesen, die es geschafft haben, diesen tödlichen Mechanismus zu überlisten.
Die Holunderblattlaus (Aphis sambuci) hat offensichtlich einen Stoffwechselweg entwickelt, der die Abspaltung von Blausäure verhindert. Damit schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klappe. Zu einen lebt sie in einem konkurrenzfreien Umfeld, zum anderen gibt sie das in ihrem Körper angereicherte, hochgiftige Sambunigrin an alle Fraßfeinde weiter und erhöht ihre Überlebenschancen als Art damit noch weiter. Eine gefressene Laus kann sich daher zumindest noch posthum eines gewissen Ällalätsch-Effektes erfreuen.
Viele Marienkäferarten die eine Zeit am Holunderblattlaus-Buffet verbracht haben, entschweben in den Marienkäferhimmel, mit Ausnahme des Zweipunkts (Adalia bipunctata). Auch er und seine Larve haben wiederum eine Möglichkeit gefunden, das Blausäureglycosid zu entschärfen und beide schlagen ungestraft ihre Breschen in die Blattlauskolonien.
Falls nun ein Vogel einen solchen Marienkäfer frisst, wird er ihn aufgrund des bitteren Geschmacks vermutlich angeekelt von sich spucken und diese und ähnlich gefärbte Arten künftig meiden.

Der Holunder schützt sich also mit dem Blausäureglycosid (Sambunigrin) vor Pflanzenfressern und -saugern, die Hollunderblattlaus schlägt ihrerseits Kon- kurrenten aus dem Feld und wird ungenießbar für die meisten Fraẞfeinde und der Marienkäfer erzielt auf der kulinarischen Hitliste von Vögeln den letzten Platz.
Und das alles mit dem gleichen Wirkstoff, der ursprünglich vom Schwarzen Holunder produziert wurde.

Ist Natur nicht einfach sagenhaft! 🙂

P.S. Das Sambunigrin reichert sich zwar im Körper der Blattläuse an, nicht aber in dem zuckerhaltigen Saft den sie abgeben! Jede Waldameise kann sich ihren Blattlaus-Shake deshalb in aller Ruhe und folgenlos zu Gemüte führen. 🐜

P.P.S: Sambunigrin ist hitzeinstabil. Holunderbeerensaft oder geröstete Läuse können daher unbesorgt genossen werden 😁
Das gilt auch für den Blütensirup oder Hollerküchlein. Rohe Beeren lösen dagegen je nach der konsumierten Menge heftiges Erbrechen aus.

Alle unsere drei Holunderarten sind übrigens in unterschiedlichem Ausmaß giftig, da sie ähnliche pharmakologische Inhaltsstoffe besitzen:
* Roter-, Trauben-, Berg-Holunder. (Sambucus racemosa)
* Schwarzer Holunder (Sambucus nigra)
* Attich, Zwerg-Holunder (Sambucus ebolus)
Roter und Schwarzer Holunder sind verholzte Sträucher, der Zwergholunder ist eine Staude aber ausdauernd.


Gastbeitrag von Werner David - 2.5.2023

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photocredit: Von Willow - Eigenes Werk, CC BY 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=2643905
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